
Alexander Dugin (links) mit Chefredakteur der ZUERST! Manuel Ochsenreiter
Der Vordenker
PDF-Datei:
Vor ihm warnen westliche „Rußlandexperten“:
Prof. Alexander Dugin gilt als einer der bekanntesten –
und gleichzeitig umstrittensten – russischen Politologen
Es ist genau 30 Jahre her, daß US-Präsident
Ronald Reagan am 8. März
1983 in Orlando in Florida das Rednerpult
betrat, um zu Angehörigen der
christlich-konservativen „National Association
of Evangelicals“ zu sprechen.
Sein Redenschreiber, der US-amerikanische
Pulitzer-Preisträger Anthony
R. Dolan hatte sozusagen sein Meisterstück
abgeliefert. Der gerademal 32jährige
Journalist Dolan wußte, wie man
Reagan richtig inszeniert. Die Rede in
Orlando sollte einschlagen wie eine
Bombe. Der US-Präsident polterte vor
den konservativen Christen gegen die
Sowjetunion. Doch diesmal bezeichnete
er die UdSSR nicht etwa nur als
eine „kommunistische Diktatur“ oder
„Bedrohung der Freiheit“ – diesmal
nannte er sie das „Reich des Bösen“. Das
war die pathetische Sprache, die beim
religiösen Publikum ankam. Minutenlang
klatschten die Zuhörer, gaben stehende
Ovationen. Es ging nicht nur
darum, einen geopolitischen und ideologischen
Konkurrenten in Schach zu
halten, es war der klassische Kampf
„Gut gegen Böse“. Und aus den Western,
in denen auch Reagan früher mitgespielt
hatte, wußten die Amerikaner:
Am Ende gewinnen immer die Guten.
Die Sowjetunion gibt es schon lange
nicht mehr, die Russische Föderation
steht jetzt an ihrem Platz. Rußland ist
nicht mehr kommunistisch, es schart
nicht mehr sozialistische
Satellitenstaaten
um sich und verschifft auch keine
Atomraketen mehr nach Kuba. Und
heute fl iehen keine sowjetischen Intellektuellen
mehr unter abenteuerlichen
Umständen in den Westen, sondern
Schauspieler wie der Franzose Gérard
Depardieu siedeln ganz legal und erster
Klasse nach Rußland über. Denn dort
locken vor allem eine niedrige Einheitssteuer
und ein gutes Leben mit dem
Promibonus.
Und trotzdem: In der westlichen Berichterstattung
hat Rußland längst wieder
zur Rolle des alten Bösewichts zurückgefunden.
Der russische Präsident
Wladimir Putin sei eine Art Diktator,
der eine fi nstere, autoritäre Großmachtpolitik
betreibe. Im UN-Sicherheitsrat
spielt Rußland in den Augen vieler
westlicher Beobachter wieder den notorischen
Nein-Sager, den man schon
aus den Zeiten des Kalten Krieges kennt.
Und die anarchistischen Kirchenschänderinnen
von „Pussy Riot“ werden heute
im Westen gefeiert wie einstmals der
russische Dissident Alexander Solschenizyn.
Prof. Alexander Dugin gehört zu den
bekanntesten intellektuellen Köpfen jenes
neuen Rußland, das den Westen
wieder beunruhigt. Und als solcher hat
Dugin in den etablierten Medien in der
Bundesrepublik Deutschland keinen
leichten Stand. Vor allem die linksalternative
taz erblickt in dem hochgewachsenen
Mann mit langem Vollbart
gar etwas Bedrohliches. Dugin,
schreibt die taz, sei „Chefi deologe“ und
nenne „sich zwar ,Philosoph‘, doch am
ehesten wird seinem Auftreten der Begriff
Sektenführer gerecht“. Aus den
Schriften Dugins lesen die taz-Schreiber
gar eine „faschistische Rhetorik“ heraus.
Der deutsche Historiker Andreas
Umland, der an der Katholischen Universität
Eichstätt-Ingolstadt Mittel- und
Osteuropäische Geschichte lehrt, warnte
im Jahr 2008, Alexander Dugins Einfl
uß in der russischen Politik könnte gar
zu einem „zweiten Kalten Krieg zwischen
Moskau und dem Westen“ führen.
30 Jahre nach Reagans Rede warnen
westliche Journalisten, Wissenschaftler
und Politiker wieder vor einem
Rußland, welches gar unter dem fi nsteren
Einfl uß eines „Sektenführers“ steht.
Das „Reich des Bösen“ scheint wieder
zurückgekehrt.
Alexander Dugin schmunzelt, wenn
er das alles über sich hört. Er kennt diese
Angriffe, sie scheinen ihm nichts auszumachen.
In Freiburg im Breisgau
steht er vor dem Haus des Philosophen
Martin Heidegger, während sein Sohn
Arthur das Stativ seiner Kamera aufbaut.
Der Himmel ist dunkelgrau, es
weht ein kalter Wind. Der Wetter bericht
hat Regen vorausgesagt, doch bislang ist
es trocken. Durch die Bäume ziehen
Nebelschwaden. Alexander Dugin hat
die Hände in den Taschen seines Mantels
vergraben, sein Blick geht zum
Himmel. „Das Wetter ist perfekt“, sagt
er zufrieden. Mit seinem Sohn dreht er
eine Videodokumentation über Martin
Heidegger. Um das Heidegger-Haus zu
fi nden, muß man die Adresse genau
kennen. Kein Schild weist den Weg,
kaum ein touristischer Reiseführer
macht darauf aufmerksam. Freiburg ist
nicht stolz auf „seinen“ Philosophen –
im Gegenteil. Eher etwas verschämt
wird er versteckt. Denn Martin Heidegger
sei ein „Nazi-Philosoph“ gewesen.
Und in einer grünregierten Universitätsstadt
ist man zwar stolz auf die
verkehrsberuhigten Zonen und auf die
hohe Dichte an „Fair Trade“-Geschäften,
nicht aber auf einen weltweit berühmten
Philosophen. Dugin schüttelt
den
Kopf. Fast scheint es so, als habe er
etwas Mitleid mit uns Deutschen. „Martin
Heidegger war der bedeutendste
Philosoph des 20. Jahrhunderts“, doziert
Dugin und streicht sich kurz über
seinen Bart. „Doch hier in Freiburg
muß man lange suchen, um in einer
Buchhandlung seine Werke zu fi nden.“
Es ist Alexander Dugins erster leibhaftiger
Kontakt mit der deutschen
Vergangenheitsbewäl tigung, sein erster
Besuch in Deutschland. In Rußland, erzählt
Dugin, stehe Martin Heidegger
hoch im Kurs. An der Moskauer Universität,
an der auch Dugin lehrt, spiele
der deutsche Philosoph eine wichtige
Rolle. Daß die Deutschen mit ihren eigenen
Söhnen nichts mehr anzufangen
wissen, ist auch für den russischen Professor
nur schwer zu verstehen. Der erklärte
Freund und Bewunderer der
Deutschen fi ndet sich in einem Niemandsland
wieder, das mit sich selbst
hadert. Die Kamera ist endlich in
Position, Dugin schreitet am Heidegger-
Haus vorüber.
Heidegger kennt der 1962 in Moskau
geborene Dugin bereits aus der Sowjetzeit.
Vor dem Zusammenbruch der
Sowjetunion organisierte er Lesezirkel
und Gruppen, die mit wenig Rücksicht
auf die akademischen Gepflogenheiten
unter der Herrschaft der KPdSU
auch Werke lasen und diskutierten,
die in den sowjetischen Unis allenfalls
im „Giftschrank“ zu fi nden waren.
Während Michail Gorbatschow das
letzte Kapitel der UdSSR mit Glasnost
und Perestroika einläutete, saß Alexander
Dugin mit Gleichgesinnten zusammen
und kostete die – noch – verbotenen
Früchte: Neben Martin
Heidegger wurden auch der italienische Philosoph
Julius Evola oder der Franzose
René Guénon gelesen und debattiert.
Als nach dem Auseinanderfallen der
Sowjetunion Boris Jelzin in Moskau
regierte, schlug die große Stunde der
Propheten des „freien Marktes“ in
Rußland. Binnen weniger Jahre bildete
sich eine superreiche Oligarchenkaste.
Unter dem trinkfreudigen Boris Jelzin
wurden die Ressourcen des Landes geplündert
und unter wenigen „Businessmen“,
oftmals ehemaligen Funktionären
der 1991 aufgelösten kommunistischen
Jugendorganisation Komsomol,
aufgeteilt.
In dem politischen Vakuum dieses
vollkommenen Zusammenbruchs war
es unter anderem Alexander Dugin, der
nicht hinnehmen wollte, daß Rußland
nun ähnlich wie die osteuropäischen
Staaten einfach der westlich-liberalen
Sphäre angeschlossen wird. 1992 – im
gleichen Jahr, in dem der US-amerikanische
Politikwissenschaftler Francis
Fukuyama vom „Ende der Geschichte“
schwärmte – gründete Dugin gemeinsam
mit dem bekannten russischen
Schriftsteller Eduard Limonow die „Nationalbolschewistische
Partei Rußlands“.
Limonow war populär, Dugin
steuerte große Teile des Programms bei.
Zum ersten Mal nahm man im Westen
Notiz von Alexander Dugin – und war
schockiert. Denn die neue Partei setzte
sofort auf maximale Aufmerksamkeit:
Die Parteifahne war knallrot mit weißem
Kreis, darin in Schwarz Hammer
und Sichel. Limonow sorgte für regelmäßige
Skandale, schnell schlossen sich
vor allem junge Russen, darunter auch
viele Künstler, dieser ganz anderen politischen
Gruppierung an, die gegen Boris
Jelzin und gegen „das antihumane
System der Troika, die aus dem Liberalismus,
der Demokratie und dem Kapitalismus
besteht“, kämpfte. Bei Wahlen
war die neue Partei nie wirklich erfolgreich,
dafür sorgte sie mit ihren zahlreichen
Aufmärschen für Furore.
Alexander Dugin erinnert sich gerne
an diese kämpferischen Jahre zurück.
„Wir haben erkannt, daß man nach
dem Zusammenbruch der Sowjetunion
gegen die westlichen Hegemonialbestrebungen
kämpfen muß. Die Regierung
unter Boris Jelzin hat alle Schleusen
für die westlich-liberale Invasion
geöffnet. Wir wollten das verhindern.“
Damals verkündeten die Nationalbolschewisten,
sie wollten „die radikalsten
Formen des nationalen Widerstandes
mit den radikalsten Formen des sozialen
Widerstandes verbinden“.
Vor dem Freiburger Münster durchstöbert
Dugin einen Stand mit antiquarischen
Büchern. Er nimmt das eine
oder andere Buch in die Hand, blättert
darin ein wenig – und legt es wieder zurück.
Mittlerweile hat es doch noch angefangen
zu regnen. Dugin stört das
nicht. Nach wie vor scheint er das trübe
Wetter eher zu genießen und wühlt sich
weiter durch das Bücherangebot. Alexander
Dugin beherrscht neun Sprachen
– darunter auch Deutsch. Er ist ein begnadeter
Autodidakt, er bringt sich
Fremdsprachen selber bei.
Sein Sohn Arthur, Mitte 20 und Philosophiestudent,
verrät die Lerntechnik
seines Vaters, der gerade jene Bücher
stapelt, die er kaufen möchte. „Er geht
systematisch an die Sache ran, zunächst
lernt er die Syntax einer Sprache – die
Struktur also –, dann füllt er diese sozusagen
mit dem Vokabular auf.“ Zufrieden
läßt sich Alexander Dugin derweil
die von ihm erstandenen Bücher vom
Verkäufer in eine Tüte packen.
Die wilden 1990er Jahre sind lange
vorüber. 1998 endete die Zusammenarbeit
zwischen Limonow und Dugin.
Während der Literat Limonow heute
die Anti-Putin-Protestbewegung unterstützt,
steht sein ehemaliger Kampfgenosse
Dugin auf der anderen Seite der
Barrikade. Dugin leitet heute das soziologische
Institut der Universität Moskau
und berät auch Außenpolitiker
des Kreml. Bei westlichen Beobachtern
schrillen daher die Alarmglocken. Denn
Dugin denkt gar nicht daran, sich von
seiner Vergangenheit zu „distanzieren“,
wie man es vor allem aus der Bundesrepublik
Deutschland kennt.
Und als Professor erfreut sich der
charismatische Russe zudem großer Beliebtheit
bei seinen Studenten. Wenn
Dugin spricht, ist gewaltiger Andrang
garantiert. Nicht selten bettet er seine
Reden in bombastische Videoinstallationen
ein. Während Dugin zu seinen
Zuhörern spricht, schießen hinter ihm
auf einer Leinwand die Flammen in die
Höhe, oder es werden Explosionen gezeigt.
Jedenfalls weiß er, wie man sein
Publikum fesselt. Längst wurden seine
Veranstaltungen zum avantgardistischen
Geheimtipp in Moskau.
„Ästhetik ist uns wichtig“, sagt er ruhig,
und steuert auf ein kleines Café zu.
Dugin hängt seinen Mantel an die Gar-
derobe, unter seinem
schwarzen
Sakko trägt er ein
quergestreiftes
Hemd, das an die
typischen Unterhemden
der russischen
Armee erinnert.
Und wie
steht es um den
Nationalbolschewismus?
„Es war
eine Phase in den
1990er Jahren“,
erklärt er, „doch
man muß sich
we i te rentw i k –
keln“. Dabei fährt
er sich wieder mit
der Hand durch
seinen Bart. Bevor
er seinen Kaffee
trinkt, bekreuzigt sich der gläubige orthodoxe
Christ.
In Moskau betreiben Dugin und sein
Kreis junger Wissenschaftler mittlerweile
eine eigene umtriebige Denkfabrik.
Die stramm traditionalistischen
Inhalte werden dabei modern aufbereitet.
„Ästhetik ist uns wichtig“, wiederholt
Dugin und schwenkt seine Kaffeetasse
ein wenig hin und her.
Das Konzept, für das Dugin und seine
Mitstreiter – meist junge Intellektuelle
und Studenten – stehen, bezieht
sich auf die Eurasien-Idee: ein euroasiatischer
Kontinentalblock als machtvolles
Gegengewicht zum transatlantischen
Bündnis. „Das ist notwendig und
dafür kämpfen wir“, sagt Dugin entschlossen.
Wo sieht er die Rolle Deutschlands
in einer solchen Ordnung?
„Deutschland ist das Zentrum Europas,
ein Deutschland, das sich selber wiederfi
ndet, wird einer unserer wichtigsten
Partner.“ Das sind Worte, bei denen einem
schnell klar wird, warum das politische
Berlin Dugins Thesen meidet wie
der Teufel das Weihwasser.
Dugin scheut sich auch nicht davor,
den in der Bundesrepublik Deutschland
tabuisierten Begriff der Geopolitik zu
benutzen. Der deutsche Geograph und
Militär Karl Haushofer gilt als einer der
Begründer der Wissenschaft, die seit
1945 in Deutschland nicht mehr gelehrt
wird. Die alliierten Siegermächte machten
Haushofers Lehre als Gefahrenquelle
aus und sorgten dafür, daß sie nicht
mehr in den Lehrplänen vorkommt.
Während heute kaum ein Student in
Deutschland mit Haushofers Werken in
Berührung kommt, bezieht sich Alexander
Dugin in seinen Vorlesungen und
Büchern wie selbstverständlich auf den
deutschen Wissenschaftler. „Es geht
aber vor allem auch darum, Haushofers
Ideen nicht einfach zu konservieren,
sondern sie weiterzuentwickeln.“ Die
modifi zierte Eurasien-Idee ist eine solche
Weiterentwicklung.
Hauptfeind dieser Idee ist – wie bereits
in den 1990er Jahren – der westlich-
liberale Hegemonialanspruch. „Die
Globalisierung verlangt, daß sich die
ganze Welt dem westlich-liberalen Wertesystem,
das keine Traditionen, keine
Völker und keine Kulturen mehr kennt,
unterwirft“, doziert Dugin und beugt
sich über den Tisch. Mit seiner Hand
deutet er auf dem Tisch den westlichen
Machtblock an, der teils über sogenannte
NGOs oder eben mit Kriegen an
seiner Peripherie darum bemüht ist,
sein Gebiet auszubreiten. Der Konfl ikt
werde immer wieder sichtbar – etwa im
Pussy Riot-Skandal, der massiv von
westlichen NGOs, Medien und Politikern
mit angeheizt wurde, oder eben
auch in heißen Kriegen, wie derzeit im
Syrienkonfl ikt. Der Westen verfechte
das Konzept einer „unipolaren Welt“, so
Dugin. Dem setzt er eine multipolare
Weltordnung entgegen – mit einem
starken eurasischen Raum als eines der
politischen Zentren. Dem russischen
Präsidenten Wladimir Putin bescheinigt
Dugin – zumindest in der Außenpolitik
– die richtige Richtung.
Wenn die Grenze zwischen dem
westlichen Hegemonialanspruch und
Eurasien brennt, scheut sich Dugin
auch nicht davor, selber dorthin zu
gehen, wo scharf geschossen wird. Während
des Georgienkrieges im Jahr 2008
besuchte er die russische Armee. „Unsere
Truppen sollen die georgische
Hauptstadt Tifl is besetzen, das ganze
Land, und am besten gleich die Ukraine
noch dazu mit der Halbinsel Krim, die
ohnehin historisch zu Rußland gehört“,
zitierte ihn der Spiegel. Er sei der „rauschebärtige
Chefi deologe des wiedererwachten
Großrussentums“, wetterte
das linke Hamburger Nachrichtenmagazin
gegen Dugin. Dem wiederum
huscht ein kurzes Lächeln über den
Mund, und anstatt sich darüber aufzuregen,
zeigt er einige Fotos von seinem
Truppen besuch an der Georgienfront:
Eines zeigt ihn, wie er eine russische
Panzerbüchse hält, auf einem
anderen Bild steht er mit einer Kalaschnikow
vor einem russischen Panzer. An
diesem Mann ist wirklich nichts, rein
gar nichts politisch korrekt.
„Doch der Kampf gegen die westlich-
liberalen Hegemonialbestrebungen
fi ndet vor allem in den Köpfen
statt“, sagt Dugin leise,
während er die
Georgien-Bilder wieder
zusammenpackt.
„Während an den
westlichen Universitäten
so getan wird,
als seien der Liberalismus
und der Individualismus
der Gipfel
menschlicher Entwicklung,
geht es uns
darum, eine Alternative
zu entwikkeln.“
Kommunismus, Faschismus und
Liberalismus seien die drei großen politischen
Theorien des 20. Jahrhunderts
gewesen. Politisch machtvoll sei heute
nur noch der Liberalismus, den Dugin
als „totalitäre Ideologie mit Universalanspruch“
bezeichnet. Der Liberalismus
habe Faschismus und Kommunismus
bereits überwunden und sozusagen
verdaut. „Der heu tige Liberalismus
hat in seinen Herrschaftssphären nicht
einmal mehr richtige Feinde.“ Dort regiere
die politische Langeweile. Dugin
wählt seine Worte bewußt scharf. „Die
Welt muß sich selbst vom Joch des Liberalismus
befreien.“ Doch wie? Dugin
spricht über die „Vierte Politische
Theorie“, die er vor kurzem als Buch
veröffentlichte. „Ein wichtiger Schlüssel
für die Überwindung der Moderne liegt
hier in Freiburg.“ Es sei Heideggers Begriff
vom „Dasein“, erklärt Dugin. Und
es gäbe eben nicht nur ein einziges „Dasein“,
sondern viele verschiedene. Also
gäbe es nicht nur eine einzige „Vierte
Politische Theorie“ sondern eine ganze
weltweite Familie von antimodernen
„Daseinssphären“, die allesamt eines gemeinsam
hätten: ihre Gegnerschaft
zum west lichen Hegemonialanspruch.
„Wir müssen wieder zu unseren Wur-
zeln fi nden, zu unseren Mythen und
Traditionen.“
Wer mit dem russischen Philosophen
spricht, braucht nicht lange, um
zu verstehen, weshalb westliche Journalisten
in ihm eine Bedrohung sehen:
Er weiß, wie man seine Zuhörer fesselt.
Auch wenn er nur in einem Café sitzt
und keine bombastischen Projektionen
seinen Vortrag unterstützen.
Müssen auch wir Deutschen wieder
lernen, Deutsche zu sein? Dugin lacht.
Das erste Mal an diesem Tag. Nach einer
kurzen Pause antwortet er ruhig: „Wenn
die Deutschen sich über ihr eigenes Dasein
bewußt werden und sich aus dem
transatlantischen Albtraum verabschieden,
rückt ,Eurasien‘ bedeutend näher.
Denn ohne die Deutschen kann das westlich-
liberale Projekt EU nicht existieren.“
Feiern wir dann zusammen in Berlin
oder Moskau? Dugins blaue Augen blitzen
auf. „Warum nicht in Königsberg?“
Eines scheint aber sicher: Wer auch
immer an jenem Tag US-amerikanischer
Präsident sein wird, wird abermals
vor seine Anhänger treten und von
der Wiederauferstehung des „Reichs des
Bösen“ sprechen.
MANUEL OCHSENREITER

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