
„Wir sollten
tauschen!“
Deutsche Politiker bieten „Pussy Riot“
politisches Asyl an: Der russische Jungpolitiker
Andrey Kovalenko fi ndet die Idee gar nicht so schlecht
Andrey Kovalenko, geboren 1985 in
Rußland, ist der Vorsitzende der
„Eurasischen Jugend“. Er studierte an
der Moskauer Lomonossow-Universität
Politikwissenschaften. Kovalenko
veröffentlichte in der Vergangenheit in
verschiedenen russischen Medien zum
„Fall Pussy Riot“ und gehört zu den
bekanntesten Kritikern der westlichen
Solidaritätskampagnen für die
russische Anarcho-Gruppe. Im April
jährt sich der Skandal-Auftritt von
„Pussy Riot“ in der Moskauer Christ-
Erlöser-Kathedrale. Auch bundesdeutsche
Politiker haben ihre Sympathie
für „Pussy Riot“ bekundet.
Herr Kovalenko, vor einem Jahr fand in
Moskau der Gerichtsprozeß gegen die
russische Gruppe „Pussy Riot“ statt. In
der Bundesrepublik Deutschland erinnern
etablierte Medien und Politik
daran…
Kovalenko: (lacht) Tatsächlich?
Aber ja!
Kovalenko: In Rußland beschäftigen
wir uns überhaupt nicht damit. Für die
übergroße Mehrheit der Russen spielt
„Pussy Riot“ keine Rolle. Es ist ja auch
– wie Sie bereits sagten – über ein Jahr
her.
Im Westen gelten „Pussy Riot“ heute als
mutige Heldinnen!
Kovalenko: Bei uns werden die Mädchen
von „Pussy Riot“ als Clowns gesehen,
die es mit ihrem „Auftritt“ in der
Erlöserkirche einfach übertrieben haben.
Als Clowns?
Kovalenko: Ja! Was man im Westen
wohl kaum thematisiert: „Pussy Riot“
hatten vor ihrem Skandalauftritt in der
Moskauer Erlöserkirche viele öffentliche
Auftritte, von denen aber bei uns
kaum jemand Notiz nahm. Sie traten
auf dem Roten Platz in Moskau auf, in
einer U-Bahnstation und an vielen anderen
öffentlichen Plätzen. Niemand
hat über „Pussy Riot“ gesprochen oder
sie gar ernstgenommen. Als sie aber die
Kirche stürmten, war das natürlich etwas
anderes. Trotzdem: Das Thema ist
bei uns erledigt, niemand spricht mehr
darüber.
In deutschen Medien werden „Pussy
Riot“ als Widerstandskämpferinnen gefeiert!
Kovalenko: (lacht) Was, echt? Widerstand
wogegen?
Gegen die autoritäre russische Regierung,
gegen einen mit quasi diktatorischen
Vollmachten ausgestatteten Präsidenten
Wladimir Putin und sein fi nsteres
Bündnis mit dem reaktionären
russisch-orthodoxen Klerus!
Kovalenko: Die deutschen Journalisten
kennen Rußland wohl nicht besonders
gut…
Auch die Menschenrechts- und Rußlandexperten
der etablierten Parteien im
Deutschen Bundestag behaupten das…
Kovalenko: Das ist ja bizarr. Sehen Sie:
Als „Pussy Riot“ ihr Konzert auf dem
Roten Platz veranstalteten, hat niemand
etwas dagegen unternommen. Obwohl
der Auftritt nicht genehmigt war, ist die
Polizei nicht eingeschritten. Die Leute
standen nur da, schauten dem Treiben
ein wenig zu und gingen dann weiter.
Die Bandmitglieder wurden nicht verhaftet?
Kovalenko: Nein. Als sie später in einer
Moskauer U-Bahnstation plötzlich auftauchten
und dort auftraten, geschah
genau das gleiche: Niemanden interessierte
es. Nicht einmal die Polizei. Für
„Pussy Riot“ muß es furchtbar gewesen
sein, einen Skandal provozieren wollen
– und dabei so erfolglos gewesen zu
sein. Weder unsere russischen noch die
westlichen Medien haben damals über
„Pussy Riot“ berichtet. Sie waren einfach
eine von vielen verschiedenen verrückten
Kunstprojekten. Und unsere
Straßen sind voll mit irgendwelchen
„Künstlern“, die manchmal mehr,
manchmal weniger verrückt sind. Und
was soll an „Pussy Riot“ bitteschön so
originell sein? Ein paar junge Frauen
ziehen sich bunte Klamotten an und
machen laute Musik.
Aber als sie im Februar letzten Jahres die
Christ-Erlöser-Kirche stürmten, war
Schluß mit lustig?
Kovalenko: Klar. Da wäre in jedem
Land der Welt das Ende der Fahnenstange
erreicht. Auch bei Ihnen in
Deutschland. Das hat mit dem Respekt
vor religiösen Gefühlen und Traditionen
zu tun. Aber selbst der „Pussy
Riot“-Überraschungsauftritt in der Erlöserkirche
ging relativ unspektakulär
ab. Die „Pussy Riot“-Mitglieder wurden
mehrmals höfl ich aufgefordert, die Kirche
zu verlassen. Für einen solchen Auftritt
sei das wirklich nicht der richtige
Ort, argumentierten die Gläubigen in
dem Gotteshaus. Die Band wurde weder
angegriffen noch verhaftet an diesem
Tag. Erst einige Tage später wurden
die Bandmitglieder wegen dieser Aktion
von der Polizei verhaftet und vernommen.
In dem Moment ging die „Pussy Riot“-
Kampagne im Westen los. Haben Sie das
in Rußland mitbekommen?
Kovalenko: Ja, das blieb uns natürlich
nicht verborgen. Aber die große Mehr-
heit der Russen hat auch das nicht interessiert.
Wer sich für Politik interessiert
und speziell für das Verhältnis zu den
europäischen Ländern und zu den USA,
der hat die „Pussy Riot“-Kampagne sehr
wohl wahrgenommen. Wie ich bereits
sagte: Die meisten Russen sehen in „Pussy
Riot“ ein paar verrückte junge Frauen,
die es eben einmal übertrieben haben.
Mehr nicht. Es war den meisten
Russen egal, ob man „Pussy Riot“ für
ihre Schändung der Kirche ins Gefängnis
oder ins Irrenhaus steckt – zumindest
für eine Weile. Und machen wir uns
nichts vor: Das Urteil war doch milde!
Zwei „Pussy Riot“-Mitglieder wurden
zu zwei Jahren Strafl ager verurteilt, eine
Bandangehörige kam nach einem Berufungsverfahren
wieder frei. Im Westen
gilt das ganz und gar nicht als milde!
Kovalenko: Gibt es in Deutschland etwa
kein Gesetz, das Kirchenschändungen
bestraft? Zudem: Als „Pussy Riot“ die
Christ-Erlöser-Kathedrale stürmten und
dort ihre blasphemische Aufführung
hatten, brachte ihnen das in Rußland
nicht gerade Sympathien. „Pussy Riot“
müssen eigentlich froh sein, daß sie vor
ein Gericht kamen und nicht etwa in
die Hände wütender russischer Bürger
geraten sind. Insofern sind das Gerichtsurteil
und die Haftstrafe sogar ein
gewisser Schutz für die jungen Frauen.
Jedenfalls wird in Rußland das Urteil
nicht als „zu hart“ empfunden, sondern
als milde. Und „Pussy Riot“
werden auch nicht als „mutige
Aktivistinnen“ gesehen, sondern
im Prinzip als ziemlich
feige.
Warum feige?
Kovalenko: Na wenn „Pussy
Riot“ wirklich ein Risiko hätten
eingehen wollen, dann hätten
sie beispielsweise eine Moschee
gestürmt und keine
christliche Kirche. Was glauben
Sie, was da losgewesen
wäre? Mit Sicherheit wären sie
dort nicht so freundlich und
zuvorkommend behandelt
worden wie in der Christ-Erlöser-
Kathedrale.
Für das Schänden von Moscheen
gibt es keine Sympathiepunkte
im Westen?
Kovalenko: So ist es. Es ist gefährlicher,
anstrengender und
am Ende gibt es keinen Menschenrechtspreis
aus der EU
oder den USA. Die russischorthodoxe
Kirche gilt im Westen
und auch bei der liberalen
Elite Rußlands als Hort des reaktionären
Nationalismus, da
darf man die Gefühle der Gläubigen
hemmungslos verletzen. Bei einer Moschee
sähe das ganz anders aus: Schnell
würde man daraus eine „fremdenfeindliche
Aktion“ machen, und statt Unterstützung
gäbe es nur den moralischen
Zeigefi nger des Westens.
Herr Kovalenko, die Sprecherin der
Grünen, Claudia Roth, und andere
deutsche Politiker fordern zum Jahrestag
des skandalösen „Pussy Riot“-Auftritts,
die Bundesrepublik Deutschland
solle den Angehörigen der Gruppe politisches
Asyl anbieten…
Kovalenko: Was für eine großartige
Idee!
Wirklich?
Kovalenko: Aber ja! Das wäre wahrscheinlich
für alle das Beste: „Pussy
Riot“ würden in Deutschland als Heldinnen
verehrt werden und wären versorgt,
die deutsche Politik könnte sich
als Wohltäter inszenieren, und wir Russen
müßten uns nicht mehr darum
kümmern und könnten uns mit wichtigeren
Dingen beschäftigen. Aber warum
machen wir keinen Tausch? Die
deutschen Menschenrechts- und Rußlandexperten,
die Sie erwähnten, scheinen
ja wenig über Rußland zu wissen.
Anders ist deren anti-russischer Aktivismus
ja kaum zu erklären!
Sie meinen, Rußland könnte im Gegenzug
die deutschen „Pussy Riot“-Lobbyisten
bei sich aufnehmen?
Kovalenko: (lacht) Warum nicht? Wir
haben genug Platz in unserem schönen
großen Land! Es gibt auch wunderbare
Gegenden östlich des Ural, wo die Mieten
konkurrenzlos günstig sind. Sibirien
besticht durch seine phantastische
Landschaft und seine unendlichen Weiten.
Vielleicht wäre das der richtige Ort
für westliche Lobbyisten, die Rußland
nur aus ihrer eigenen Medienberichterstattung
kennen! Und stellen Sie sich
vor: Uns Russen würde das wenig kümmern,
und die Deutschen könnten sich
dann endlich auch um die wirklich
wichtigen Dinge kümmern! Das ist eine
sogenannte „Win-win-Situation“, bei
der alle Beteiligten nur Vorteile hätten.
Und die deutschen Aktivisten – unsere
Gäste! – könnten auch eine eigene Band
gründen und bunte Sachen tragen,
wenn sie wollen. Wir sind ein freies
Land!
Ihr Vorschlag klingt fair!
Kovalenko: Sie sehen, wenn wir alle mit
etwas Verständnis aufeinander zugehen,
kommen wir zu einer guten Lösung.
Und „Pussy Riot“ hätte damit doch
noch etwas Positives bewirkt!
Herr Kovalenko, vielen Dank für das inspirierende
Gespräch.

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