
Heimlich,
still und leise
Leonid Savin, geboren 1974 in der
Ukraine, ist Chefredakteur des
russischen Magazins Geopolitika.
Savin ist zudem Angehöriger des
Zentrums für konservative Forschung
an der soziologischen Fakultät der
Staatlichen Universität Moskau. Leonid
Savin arbeitet eng mit dem russischen
Politologen Alexandr Dugin zusammen.
Savin gilt als Experte für die
Aktivitäten ausländischer Nichtregierungsorganisationen
(NGO) in Rußland.
Herr Savin, etablierte Medien und Politik
im Westen sind voll des Lobes für reiche
Geschäftsleute wie beispielsweise
George Soros oder Michail Chodorkowski.
Der Grund: Sie gehen angeblich besonders
verantwortungsvoll mit ihrem
politisch-wirtschaftlichen Einfl uß um,
sie gelten als Philanthropen, als weltweite
Förderer von Freiheit und Demokratie…
Savin: Klar haben die beiden etwas gemeinsam:
Soros und Chodorkowski gehören
beide dem Club der internationalen
Oligarchie an. Aber Soros ist der
klügere von ihnen, nicht nur, weil er
voll und ganz hinter der offiziellen
US-Politik steht, sondern auch wegen
seiner Erfahrungen, die er in den USA
und Europa sammeln konnte. Seine
Methoden sind sanfter und unauffälliger
als die von Chodorkowski, der mit
brutaler Korruption agierte und ganz
offen als westlicher Lobbyist auftritt.
Soros ist raffi nierter.
Raffi nierter?
Savin: George Soros hat zunächst Stiftungen
gegründet, von denen wiederum
eine zweite Welle an Organisationsgründungen
ausging, die heute sozusagen
„unabhängig“ sind. Auf diese Art
und Weise ist es Soros gelungen, viele
seiner Spuren zu verwischen. Bei einer
Vielzahl von sogenannten „zivilgesellschaftlichen
Organisationen“ weiß man
nicht, daß der Impuls von Soros ausging.
Er macht das – offi ziell zumindest – weil
er allen Menschen zu ihren Rechten verhelfen
möchte.
Savin: Wenn wir hören, daß ein Milliardär,
der in das System des globalen Kapitalismus
tief verstrickt ist, die Menschen
liebt, sollten wir mißtrauisch
werden. Denn er liebt das Geld. Seine
Aktivitäten dienen dem Profi t. So jemand
kann sogar einen Krieg entfachen
– für seinen Profi t. Lassen Sie es mich so
ausdrücken: Ich denke, weder Soros
noch Chodorkowski interessieren sich
für Freiheit, aber sie nutzen das Instru-
mentarium der Demokratie für ihre
Spekulationen.
Trotzdem behaupten die Medien, es seien
Menschenfreunde und selbstlose
Wohltäter…
Savin: Ich glaube, vor allem George Soros
folgt tatsächlich einer Art „Idee“.
Seine Philosophie ist die der sogenannten
„Offenen Gesellschaft“ des österreichischen
Philosophen Karl Popper.
Und natürlich hat Soros einigen Leuten
vor allem in Osteuropa mit Finanzmitteln
geholfen. Aber vergessen Sie nicht:
Es waren Liberale der gleichen Sorte
wie er selber. Sein Traum ist es, ein internationales
Kartell von Liberalen und
Anhängern der „Offenen Gesellschaft“
zu etablieren. Und wenn wir über die Medien
und das dort verbreitete positive
Bild von Soros sprechen, sollten wir dabei
nicht vergessen, wem diese Medien
gehören, wer sie durch Werbung fi –
nanziert und welche gesellschaftlichpolitischen
Gruppen diese Medien dominieren.
Soros ist ein cleverer Geschäftsmann
und versteht es, dafür zu
sorgen, daß die internationalen Medien
ihn als großen Wohltäter präsentieren.
Was steckt hinter der Ideologie der Offenen
Gesellschaft?
Savin: Karl Popper, von dem diese Idee
stammt, ist für Soros eine wichtige Autorität.
Die Idee des modernen Nationalstaates
nach der französischen Revolution
brachte einen neuen Gesellschaftstypus
hervor – Adel, Bürgertum
und Bauern vermischten sich klassenübergreifend
zu einer „Nation“. Die Idee
der Offenen Gesellschaft will nun eine
universelle, globale Menschheit schaffen,
die sich nur auf die Individuen
stützt. Das Problem ist: Diese Ideologie
taugt nicht für die Realität, sie ist
eine synthetische Antithese zum Kommunismus,
der eine strahlende Zukunft,
Wohlstand und Glück für die ganze
Menschheit und den Sieg der Arbeit
versprochen hatte. Aber beide Ideologien
– der Kommunismus und die Offene
Gesellschaft – fußen auf einem irrealen
Modernismus. Soros glaubt daran, aber
diese Offene Gesellschaft ist nichts weiter
als eine Fata Morgana, eine Illusion,
die es in der Realität schlichtweg nicht
geben kann.
Warum engagiert er sich vor allem in
Osteuropa und Rußland?
Savin: Das ist kein Zufall. Denn dort
gibt es noch immer starke Rudimente
traditioneller Kultur und auch eine
Basis für politische Alternativen zum
Westen. Den Liberalismus dorthin zu
exportieren, kommt der Infektion eines
gesunden Organismus mit einem
Virus gleich: Die Krankheit kann diesen
Organismus schwächen oder sogar
töten, aber er kann auch ein Gegengift
produzieren.
Zum Beispiel?
Savin: Ich will das am Beispiel der Zigeuner
erläutern. Soros gründete ein
Projekt, welches sich angeblich um deren
Belange in Osteuropa kümmern
soll. Zigeuner haben ihre eigene Sichtweise
auf die Welt, ihre eigene Kultur.
Sie arbeiten nicht in Fabriken, sie haben
ihre eigene Sprache und pfl egen uralte
Stammestraditionen. Soros möchte ihre
Identität zerstören, um sie auf „europäischen
Standard“ zu bringen. Doch die
Konsequenz ist verheerend: Die Zigeuner
sind nun psychisch desorientiert,
ihre Identität verändert sich. Sie sind
immer noch Außenseiter, verursachen
aber viel mehr Probleme für sich und
die Mehrheitsgesellschaft.
Mit anderen Worten: Die Idee der Offenen
Gesellschaft taugt nichts und richtet
Schaden an?
Savin: Diese Ideologie ignoriert die
Realität. Menschliche Gesellschaften
sind sehr komplex. Mythen, religiöse
Ansichten, ethnische Wurzeln, Sprachen,
Unterbewußtsein, Träume, Sympathien
und Antipathien spielen eine
wichtige Rolle. Und von Region zu Region
ist dieses komplexe Gemisch unterschiedlich,
was die menschliche Vielfalt
ausmacht.
Trotzdem hat George Soros die sogenannten
„bunten Revolutionen“ in den
früheren Sowjetrepubliken und in Osteuropa
fi nanziell und logistisch über
seine Stiftungen und Denkfabriken
massiv unterstützt, um dort seine Offene
Gesellschaft zu etablieren…
Savin: Lenin sagte einmal sinngemäß,
daß die Revolution dann geschieht,
wenn die Zeit reif für sie sei. Und der
Zeitpunkt für „Investitionen“ in Unruhen
und Proteste in Ländern wie Georgien
(2003), der Ukraine (2004) und
Jugoslawien (2000) war tatsächlich
günstig. In Ländern wie dem Iran
(2009) oder Bahrain (2012) schlugen
die Revolutionsversuche fehl. Im Iran
wollte die Mehrheit der Bevölkerung
keinen Umsturz, und in Bahrain wurden
die Proteste brutal von der Regierung
niedergeschlagen. George Soros ist
nicht der einzige, der in solche – meist
friedliche – Umsturzversuche investiert.
Sogar in den USA ist er ein Sponsor der
kapitalismuskritischen „Occupy Wallstreet“-
Bewegung.
Haben diese Farbrevolutionen etwas
gemeinsam?
Savin: All diese „Revolutionen“ haben
in Wirklichkeit einen geopolitischen
Hintergrund. Sie zeigen die Konfl iktlinien
zwischen der westlichen transatlantischen
Ideologie und der öst lichen
euroasiatischen Idee. Jugoslawien mußte
zerteilt werden, weil es dort einerseits
sehr russophile Kräfte gibt, andererseits
das Land aber in Europa eine wichtige
strategische Lage hat. Das gleiche gilt
für Georgien im Südkaukasus und für
die Ukraine. Der amerikanisch-polnische
US-Regierungsberater Zbigniew
Brzezinski schrieb in seinem Buch The
Grand Chessboard, daß Rußland ohne
die Ukraine kein großes Reich mehr
werden könne.
Welche Länder sind als nächste dran?
Savin: Das ist eine gute Frage. Generell
können wir feststellen: Verhält sich eine
Regierung loyal gegenüber den Interessen
der USA und dem weltweiten
Club der Oligarchen, braucht sie sich
nicht vor einer „Revolution“ zu fürchten.
Wenn beispielsweise die Regierung
von Myanmar das eigene Volk unterdrückt,
aber gleichzeitig gute Beziehungen
zum Weißen Haus unterhält, wird
dort wenig passieren. Wenn aber Staaten
beispielsweise in Südamerika oder
Asien mit linken oder rechten Regierungen
die Zusammenarbeit mit Washington
verweigern, werden sie gebrandmarkt.
Es wird dann behauptet,
diese Länder seien Tyranneien oder ihre
Regierungen unterstützten Terroristen.
In Rußland unterstützen westliche
Nichtregierungsorganisationen (NGO)
massiv den inhaftierten Oligarchen
Michail Chodorkowski. Die westlichen
Medien behaupten, er sei im Gefängnis,
weil er oppositionell eingestellt – nicht
etwa, weil er kriminell sei…
Savin: Chodorkowski sitzt im Gefängnis
wegen Verbrechen gegen den russischen
Staat und gegen das Volk. Aber
das ist nur eine Seite des Problems. Er
hat beispiellos die Korruption innerhalb
der politischen Elite Rußlands vorangetrieben.
Inwiefern?
Savin: Er bezahlte Parlamentariern Bestechungsgelder
und gab ihnen regelrechte
Anordnungen, wie sie sich bei
Abstimmungen zu verhalten hatten –
natürlich zur Maximierung seines Profi
ts. Der Westen unterstützt aber solche
Oligarchen nur dann, wenn diese die
westlich-liberale Ideologie teilen. Daß
sie gleichzeitig parasitär auf Kosten des
russischen Volkes leben, spielt dabei
keine Rolle.
Gibt es denn irgendwelche Verbindungen
zwischen diesen prowestlichen russischen
Oligarchen und den westlichen
„Philanthropen“?
Savin: Sicher! George Soros pfl egt enge
Freundschaften mit russischen Partnern
und Aktivisten in den ehemaligen
Sowjetrepubliken. In Rußland war er
mit den Oligarchen Wladimir Potanin,
Boris Beresowski, Anatoli Tschubais,
Boris Nemzow und Wladimir Gussinski
bekannt – sie alle gehören zum Clan
habgieriger Liberaler. Interessant in diesem
Zusammenhang: Später zog George
Soros auch über sie her. Das zeigt, daß
es dort, wo das große Geld herrscht,
keine wahre Freundschaft gibt. Aber Soros
bleibt weiterhin aktiv in der Region:
Vor einigen Wochen habe ich einen Politaktivisten
aus Aserbaidschan kennengelernt,
der mir berichtete, daß er Soros
kontaktiert hat. Er bekommt nun fi nanzielle
Hilfen für seine junge Bewegung,
die bei den nächsten Parlamentswahlen
in Aserbaidschan antreten wird.
Zur Offenen Gesellschaft gehört auch
die freie Marktwirtschaft, die angeblich
Wohlstand für alle bringen soll…
Savin: Nachdem die Sowjetunion zusammengebrochen
war, setzten die
marktliberalen Reformen ein. In Rußland
sicherten sich einige wenige Persönlichkeiten
die wichtigen Produktionsstätten
des Landes. Aber bislang
galten diese Stätten als Volkseigentum.
Der berühmte russische Liberale und
Milliardär Mikhail Prochorow, der heute
in der Politik aktiv ist, sicherte sich
ebenfalls sein Startkapital auf illegale
Weise. Natürlich war das nicht ohne
Hilfe einer korrupten Bürokratie möglich.
Viele der Verantwortlichen sind
bereits verstorben, einige sind aber immer
noch in Amt und Würden. Das einfache
Volk hat unter den Reformen, die
vom Weltwährungsfonds und von der
Weltbank vorgeschlagen wurden, gelitten
– vor allem unter der Infl ation. Die
sogenannten Programme zum Wiederaufbau
der Wirtschaft haben die meisten
Wirtschaftssektoren zerstört, unser
Land in die Abhängigkeit geführt.
Welche Rolle spielte Soros hierbei?
Savin: Die Frage, wie Soros und seine
Agenten gearbeitet haben und noch immer
arbeiten, ist in der Tat interessant.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Nichts
ist verkehrt daran, wenn jemand in Infrastruktur
und in technische Entwicklungen
investiert oder Nahrungsmittel
für arme Länder bereitstellt. Aber die
Agenda von Soros beinhaltet das ganze
Paket neoliberaler Ideen: die angebliche
Notwendigkeit freier Märkte und deren
Expansion, die Angleichung aller Standards
und so weiter. Doch genau das
führt zu Armut, ökologischen Desastern
und zu Wirtschaftskrisen, wie wir
heute wissen. In seinen theoretischen
Überlegungen spricht Soros viel über
Machtkontrolle und den sozialen Wandel.
Praktisch fi nanziert und unterstützt
er vor allem auch Projekte im Bildungssektor
in der ehemaligen Sowjetunion.
Mit welchem Ziel?
Savin: Es wurden beispielsweise neue
Schulbücher gedruckt, die dem Zweck
dienen, eine Art neuer, postmoderner
und gehorsamer Bürger zu kreieren. Es
wurde ein regelrechtes „Tabula Rasa“
veranstaltet, die Nation sollte umerzogen
werden. Aber Menschen sind lebende
Organismen, und solche Experimente
erweisen sich immer als zerstörerisch.
Nach wenigen Jahren haben das die
Menschen auch in Rußland verstanden,
doch Soros’ NGOs sind immer noch bei
uns aktiv. George Soros ist auch Ideengeber
und Förderer für Programme, die
dazu führten, daß eine regelrechte intellektuelle
Abwanderung stattfand. Mit
seiner Unterstützung haben viele russische
Wissenschaftler ihrem Land den
Rücken gekehrt.
Seit Juli 2012 gibt es in Rußland das sogenannte
NGO-Gesetz, welches vor allem
die Aktivitäten ausländischer Organisationen
reglementiert und beaufsichtigt…
Savin: Ja, denn die Aktivitäten ausländischer
NGOs entwickelten sich wirklich
zu einer realen Gefahr für die nationale
Sicherheit.
Inwiefern?
Savin: Beispielsweise unterstützten einige
Angehörige des Internationalen Roten
Kreuzes – dessen Sitz in Genf
(Schweiz) ist – illegal die Aktivitäten von
Milizen im Nordkaukasus. Gleichzeitig
versuchten sie, neue Gesetze für den Militär-
und Polizeidienst einzuführen.
Agenten des Internationalen Roten
Kreuzes haben also hier während ihrer
Routinearbeit empfi ndliche strategische
Informationen gesammelt und versucht,
die öffentliche Meinung sowie Experten
zu beeinfl ussen. Auch haben sie versucht,
auf russische Politiker Einfl uß zu
nehmen. Das ist nur ein Beispiel. Es gibt
heute noch immer ein ganzes Netzwerk
ausländischer Agenten und ihrer Organisationen
in Rußland. Das neue Gesetz
verhindert ihre Arbeit nicht, macht aber
klar, daß es sich bei diesen Leuten um
Agenten aus dem Ausland handelt. Übrigens:
In den USA ist es völlig normal,
daß sich alle ausländischen NGOs und
deren Mitarbeiter registrieren lassen
müssen – als ausländische Agenten.
Was ist an der Arbeit der NGOs generell
so gefährlich? Im Westen hören wir fast
ausschließlich Positives über ihre Arbeit.
Savin: Es gibt zwei Kategorien solcher
Organisationen. Erstere können als klassische
Geheimdienstaktivitäten des Auslands
gesehen werden. Die zweite Kategorie
gehört dem neoliberalen Kartell
von Organisationen an, die großzügig
vom Weißen Haus in Washington und
von Großbanken unterstützt werden. Diese
folgen der Agenda der Globalisierung.
Während die erste Kategorie also als klassische
Spionagetätigkeit verstanden werden
kann, bei der Informationen gesammelt,
ausgewertet und an die Auftraggeber
geliefert werden, wirkt die zweite
Kategorie im Sinne der sogenannten
„Smart Power“: Darunter ist ein fl exibler
Katalog diplomatischer, wirtschaftlicher,
militärischer, politischer, rechtlicher und
kultureller Werkzeuge, die der jeweiligen
Lage angepaßt werden, zu verstehen.
Die vielgepriesene „Zivilgesellschaft“ ist
also eine große Luftnummer?
Savin: Natürlich gibt es auch andere
NGOs, die wirklich zivilgesellschaftlich
arbeiten. Aber die sind in den Berichten
der „Freiheitsfreunde“ des Westens
nicht einmal erwähnt.
Diese werden also nicht unterstützt?
Savin: Auch diese NGOs haben die
Chance, in die Politik zu gehen und fi –
nanzielle, politische und mediale Unterstützung
vom Westen zu bekommen.
Doch um westliche Organisationen auf
sich aufmerksam zu machen, bedarf es
einiger Protestaktivitäten und lauter
Provokationen. Bei Pussy Riot konnten
wir das beispielsweise gut verfolgen.
Aber auch diese NGOs müssen lernen,
daß, wenn sie den Rubikon in die reale
Politik überschreiten, die Gesetze von
Freund und Feind gelten – der deutsche
Staatsrechtler Carl Schmitt hat das in
seinem Meisterwerk Der Begriff des Politischen
sehr gut beschrieben.
Herr Savin, vielen Dank für das Gespräch.

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