
Posthume Verehrung: Breschnew bei Russen besonders beliebt
© RIA Novosti. Juri Abramotschkin
MOSKAU, 22. Mai (RIA Novosti)
http://de.ria.ru/zeitungen/20130522/266167203.html
Leonid Breschnew erfährt in Russland eine posthume Wertschätzung. Trotz seines Negativ-Images schätzen die Russen einer Umfrage zufolge die Stabilität während seiner Amtsjahre als sowjetischer Staatschef, schreibt die Zeitung „Kommersant“ am Mittwoch.
Das ergab eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum.
Auch zu Zar Nikolaus II. und mehreren sowjetischen Staatschefs außer Michail Gorbatschow seien die Russen positiv eingestellt, sagte der Vizechef des Lewada-Zentrums, Alexej Graschdankin. Bei Gorbatschow und dem ersten Präsidenten Russlands, Boris Jelzin, sei die Situation jedoch anders. „Das zeugt vom Mangel an historischen Kenntnissen und an historischer Reflexion“, sagte das Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, Jan Ratschinski. „Die Menschen sprechen von Mythen, aber nicht von realen Personen.“
„Die Menschen haben gewisse Assoziationen“, äußerte der Politologe Sergej Tschernjachowski. „Josef Stalin wird mit militärischen Siegen und Leonid Breschnew mit Wohlstand identifiziert. Niemand möchte in der Stalin-Zeit leben, aber Stalin verkörpert das, was Russland derzeit fehlt, und zwar Gerechtigkeit und Gleichberechtigung bei gleichzeitiger Angst“, so Professor Valeri Solowej von der Moskauer Hochschule für internationale Beziehungen.
Laut der Umfrage des Lewada-Zentrums sind 50 Prozent der Russen positiv und 38 Prozent negativ zu Stalin eingestellt. „Als Leonid Breschnew an der Macht stand, empfand niemand Sympathie oder Respekt vor ihm. Aber in seiner Amtszeit stand der sowjetische Sozialismus und der relative Wohlstand auf dem Höhepunkt“, so Experte Solowej weiter. Deshalb werde er jetzt von 56 Prozent der Befragten gelobt und von 29 Prozent beschimpft.
Die negative Einstellung der Russen gegenüber Gorbatschow und Jelzin sei dadurch bedingt, dass in deren Amtszeit „nur Niederlagen und materielle Verluste“ verzeichnet worden seien, sagte Tschernjachowski. „Gorbatschows Amtszeit endete mit dem Zerfall der Sowjetunion, den viele Russen immer noch als eine Katastrophe des 20. Jahrhunderts betrachten“, so Graschdankin. Zu Jelzin sind die Menschen deswegen negativ eingestellt, weil seine Reformen 1992 zur Folge hatten, dass „die Preise stiegen und Industriebetriebe dicht gemacht wurden“, ergänzte der Soziologe.
Autoritäre Politiker werden immer besser als liberale beurteilt, so Graschdankin weiter. „Auf Freiheit folgt normalerweise Ungewissheit, während die Menschen Klarheit und eine klare Zukunft bevorzugen.“ „Die Rechte und Freiheiten sind zu abstrakt und deshalb nicht gefragt und nicht notwendig für die Mehrheit. Die Menschen wissen vor allem das Recht auf soziale Garantien und auf Arbeit zu schätzen“, stimmte Tschernjachowski zu.
Die jetzigen Regierenden stützen sich vor allem darauf, die „Stabilität“ unter Putin den „chaotischen 1990er-Jahren“ gegenüber zu stellen, sagte Valeri Solowej. „Breschnew wurde von seinen Bürgern nicht gemocht, aber seine Nachfolger waren noch schlimmer. Auch Putin verkörpert Stabilität, und die Assoziierung Putins mit Breschnew ist nicht gerade schändlich für die jetzige Macht.“

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