Aus „Junge Welt“, vom 23.Oktober 2023
Nagende Kritiker des Tages: jW-Redaktionsmäuse
Von Arnold Schölzel

Mäuse mögen Medien oder umgekehrt: Die am Computer bevölkern weltweit alle Redaktionen, und in der ARD klärt eine orangefarbige Maus auf, woher die Löcher im Käse kommen. Neuerdings hat auch die jW-Redaktion welche: echte. Was bedeutet: Zur Aufklärung über globale Mausprobleme tragen sie nichts bei, es geht aber sofort um die soziale Frage – bei jW nicht anders denkbar. Jedenfalls sagt es viel über die kirchenmausartigen Zustände in Berlin-Mitte aus, wenn sich die armen Nager bis in die sechste Etage des Gebäudes Torstraße 6 quälten, um dort unter schwierigen Umständen – hohe Tische, blöde Schubladen und kalorienarme Papieraufhäufungen – zunächst die Teeküche und inzwischen alle Räume nach Nahrhaftem zu durchsuchen. Mit wechselndem Erfolg, aber allerhand Hinterlassenschaft: In der Chefredaktion wurde triumphal Schokolade erobert – ein Fest. Jedoch schon in der Herstellung verhinderte Hartplastik den Erdnussgenuss. Der Mausezahn, der Mausezahn hat wahrscheinlich weh getan. In der Außenpolitik stand – typisch – eine heimtückische Lebendfalle. Dauerbeschäftigung mit dem »Geistlosen in der Politik« (Peter Hacks) färbt eben. Im Staatenäußeren ist der Pakt mit dem Teufel die Regel, sind Heimtücke und Treubruch tägliches »Brot«.
Gäbe es marxistische Mäuseschulung in diesem Land, in dem schon die für Menschen eine mit Gold aufzuwiegende Rarität ist, wüssten die Menschenfolger, dass Festgenageltsein aufs nahrungslos Schriftliche schon immer ein Synonym für Linke ist. Karl Marx gestand 1859 ein, er und Engels hätten das fette Manuskript der »Deutschen Ideologie« von 1845 »der nagenden Kritik der Mäuse« überlassen, weil der Zweck, »Selbstverständigung«, erreicht worden sei. Nährwertfrei für Mäuse. Heißt für die jW-Redaktionsmäuse: Die bittere Einsicht nicht mehr nur interpretieren, sondern Berlin-Mitte woanders verändern.

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