Fels in der Brandung
In Syrien machen radikal-sunnitische Banden Jagd auf syrische Christen und schänden Kirchen. ZUERST! Besuchte den syrisch-katholischen Priester Elias Zahlawi in Damaskus.

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Für den griechisch-orthodoxen Priester
Fadi Jamil Haddad gibt es kein
Weihnachtsfest mehr. Der Pfarrer der
Gemeinde St. Elias im syrischen Qatana,
unweit der Hauptstadt Damaskus,
mußte Ende Oktober ein Martyrium
über sich ergehen lassen, an dessen
Ende sein grausamer Tod stand. Seine
Leiche wurde am 25. Oktober im Stadtviertel
Jaramana im Norden von Damaskus
gefunden. Der Geistliche war
grausam zugerichtet. Der katholische
Pressedienst Fides zitiert einen Bekannten
von Haddad: „Seine Leiche trug
schreckliche Zeichen der Folter: Man
hatte ihn skalpiert und die Augen wurden
ihm ausgerissen.“
Ausgerechnet seine selbstlose Hilfsbereitschaft
wurde dem 43jährigen Gemeindepfarrer
zum Verhängnis. Seit
Monaten entführen bewaffnete Banden,
die der sogenannten „Freien Syrischen
Armee“ – also jener Kräfte, die gegen
die syrische Regierung kämpfen – nahestehen,
syrische Bürger und erpressen
Geld für ihre Freilassung. Pfarrer
Haddad galt als geschickter Verhandlungsführer
mit den Kriminellen. Als er
sich aufmacht, um für eine christliche
Familie die Freilassung eines entführten
Familienmitglieds zu verhandeln, gerät
er selber in die Gewalt der Entführer.
Die verlangen für Haddads Freilassung
umgerechnet 550.000 Euro Lösegeld.
Die Familie des Priesters bekommt die
hohe Summe allerdings nicht zusammen.
Dafür bezahlt Haddad mit seinem
Leben. Zu seiner feierlichen Beerdigung
am 26. Oktober kommen sechs orthodoxe
und vier katholische Bischöfe, die
gemeinsam erklären: „Wir beklagen die
ausländische Verschwörung, die das
Übel und die Zerstörung in unserem
ruhigen Land sät; denn die Gewalt und
die Teilung entsprechen nicht der Natur
des syrischen Volkes und seiner friedlichen
Tradition.“ Haddad wird zum
christlichen Märtyrer erklärt. Er ist bereits
der zwölfte christliche Geistliche,
der von bewaffneten Freischärlern ermordet
wurde.
Mittlerweile sprechen immer mehr
europäische Politiker darüber, syrischen
Christen Asyl anzubieten – angesichts
der religiösen Hetzjagden radikal-sunnitischer
Rebellengruppen. Elias Zahlawi
denkt aber gar nicht daran, sein
Land zu verlassen. Dabei steht er auf
der Todesliste der Islamisten weit oben.
Zahlawi ist syrisch-katholischer Priester,
in seiner Gemeinde Sayyida Dimashq
wird der 80jährige Geistliche von den
meisten nur respektvoll „Vater Elias“
genannt. Er gilt aber zudem als bekannter
Fürsprecher der syrischen Regierung,
als jemand, der von Beginn der
Krise im März 2011 an wortgewaltig zur
nationalen Einheit gegen die „ausländische
Verschwörung“ gegen sein Land
aufruft.
Zahlawi steht vor seiner Kirche in
Damaskus und beobachtet die Hubschrauber
der syrischen Armee, die in
Richtung Süden schweben. Eine dunkle
Rauchsäule steigt in einigen Kilometern
Entfernung hoch in den Himmel.
Dort wird gekämpft. „Kommen
Sie rein!“ ruft er seinem Besuch aus
Deutschland freudig entgegen und winkt uns durch die
Gittertore, er geht voran in das kleine Gemeindezentrum
gleich neben der Kirche. Vom Stadtrand trägt der Wind das
Wummern wuchtiger Detonationen zu uns. „Das geht jetzt
seit einigen Tagen so“, kommentiert Zahlawi knapp. Er hat
sich an den Krieg gewöhnt, der mal weit weg ist und dann
wieder fast bis vor sein Kirchentor schwappt. Im Gemeindezentrum
angekommen, bietet der Priester Kaffee und Tee
an, doch es bleibt dann doch bei Wasser und Keksen; der
Strom ist wieder ausgefallen, der Wasserkocher funktioniert
nicht.
In der syrischen Stadt Homs ist das christliche Leben so
gut wie tot. Über 50.000 syrische Christen sollen aus der
Stadt gefl üchtet sein. Den Rebellen-Milizen wird vorgeworfen,
gezielt Jagd auf Christen zu machen. Der syrisch-orthodoxe
Erzbischof Silvanus Petros von Homs und Hama beklagte
bereits im April dieses Jahres: „Tausende Wohnungen
und Häuser wurden geplündert oder zerstört. Die Situation
ist ein einziges Drama! Trotzdem werden die Christen versuchen,
im Land zu bleiben – denn wenn wir einmal auswandern,
wird es wohl keine Möglichkeit mehr zur Rückkehr
geben.“ Bilder aus Homs zeigen von Rebellen geschändete,
geplünderte und zerstörte Kirchen, einige Banditen
ließen sich mit goldenen Kreuzen, Meßgewändern und wertvollen
Kelchen ablichten.
Auch Zahlawi kennt diese Bilder, er weiß, daß auch er in
großer Gefahr ist. Hat er Angst? Zahlawi lächelt und sagt entschlossen:
„Nein, ich habe überhaupt keine Angst. Ich vertraue
da ganz und gar Gott.“ Und dann beginnt er, sein Land
zu loben. Syrien sei eine große Nation, die solche Probleme
meistern könne, selbst wenn sich die ganze Welt gegen sie
stelle. Er zweifl e nicht im geringsten daran, daß sein Volk diese
schwere Prüfung meistern werde.
Obwohl er Syrien jederzeit verlassen könnte, denkt er gar
nicht daran: „Ich bin hier geboren, das ist mein Land. Ich lasse
mein Land und meine Gemeinde nicht im Stich, vor allem
nicht in der Not.“ Solche Sätze machen deutlich, warum er
„Vater Elias“ genannt wird. Zahlawi wurde 1932 in Damaskus
geboren, damals befand sich Syrien noch unter französischer
Mandatsherrschaft. Die syrische Fahne war damals die gleiche,
die heute die Rebellen führen: Grün-weiß-schwarz gestreift
mit drei roten Sternen. Zahlawi studierte Philosophie
und Theologie in Jerusalem, seine Priesterweihe empfi ng er
1959. 1962 ging er dann in seine Heimatstadt Damaskus zurück.
Neben der Seelsorge studierte er dort Theaterwissenschaften.
Zahlawi ist bis weit über die Grenzen Syriens bekannt. Er
ist der Gründer des berühmten Al-Farah-Chores, mit dem er
in friedlicheren Zeiten bereits internationale Tourneen machte.
Der 1977 von Zahlawi ins Leben gerufene christ liche Kinderchor
ist vor allem deshalb bekannt, weil er auch mit Muslimen
gemeinsame Auftritte absolviert. „Wir sind alle Syrer,
wir lassen uns nicht spalten“, lautet Zahlawis Devise. Radikale
Islamisten haben sich immer schon daran gestört. Berühmt
sind die Weihnachtskonzerte des Al-Farah-Chores, die auch
von Syriens Präsidentenpaar Baschar und Asma al-Assad besucht
werden. In Zahlawis Arbeitszimmer hängt ein Foto vom
Weihnachtskonzert des Jahres 2010, es zeigt den Chor mit
Zahlawi und den Assads. Ob es auch in diesem Jahr ein solches
Konzert geben wird, vermag Zahlawi nicht vorher-
zusagen.
Das Risiko wäre groß, geradezu
eine Einladung an die islamistischen
Terroristen.
„Ich zeige Ihnen meine Kirche.“
Zahlawi erhebt sich aus seinem Sessel
und geht wieder voran. Durch das
schwere, hölzerne Tor geht es in das
Gotteshaus, Zahlawi zeigt auf das Chorgestühl.
„Hier singen die Kinder oft.“
Stolz erzählt er von dem hervorragenden
Ruf, den der Al-Farah-Chor genießt.
Kinder aus allen sozialen Schichten
seien dabei, entscheidend für die
Aufnahme in den Chor sei allein die
Stimme. Als wir während der Kirchenführung
den Chor ironisch „die Damaszener
Sängerknaben“ nennen, lacht
Zahlawi und weist nochmals darauf
hin, daß doch auch Mädchen dabei
seien.
In seiner Kirche hängen große Gemälde
der Schutzheiligen, vor dem Heiligen
Georg, der den Drachen besiegt,
bleiben wir stehen. Ohne es direkt anzusprechen,
ist klar, daß Zahlawi in diesem
Bild eine Analogie zu Syrien sieht:
Der Drache ist die FSA, die die Gewalt
in das Land trägt, St. Georg steht für die
Syrer, die den Angriff zurückschlagen.
In dem großen Kirchenbau hört man
die Geräusche des Krieges vor den Toren
der Hauptstadt nur noch ganz leise.
Es duftet nach Kerzenwachs und ein
wenig nach Weihrauch. Jetzt rast ein
Helikopter über die Kirche, das Knattern
der Rotorblätter scheint unendlich
lange zwischen den hohen Wänden
nach zuhallen. Zahlawi läßt sich auf einer
der hölzernen Bänke nieder, rückt
etwas zur Seite und deutet mit der
Hand, sich neben ihn zu setzen. „Wir
glauben an dieses Land und an die
Gemeinsamkeit der Syrer über alle Religionsgrenzen
hinweg“, sagt er bestimmt.
„Wir blicken auf eine lange
gemein same und friedliche Geschichte
zurück. Muslime und Christen respektieren
sich hier.“ Zahlawi erzählt von
der wichtigen Rolle der christlichen
Araber beim Befreiungskampf gegen
die tür kischen Osmanen, von der Bewahrung
der arabischen Sprache, Kultur
und Identität gegen die Türkisierung
Sy riens. Das „arabische Erwachen“
im 19. Jahrhundert gegen die osmanische
Unterdrückung sei ohne die arabischen
Christen gar nicht denkbar, ist
sich Zahlawi sicher. „Das macht unser
Land bis heute stark und auch wehrhaft.“
Das Verhalten christlicher Politiker in
Europa macht ihn zornig. „Diese Leute
sollen uns in Ruhe lassen“, grollt Vater
Elias. Die Einmischung des Westens
treffe stets die orientalischen Christen.
Er verweist auf die Situation im Nachbarland
Irak, wo sich aus gerechnet nach
der „Befreiung“ durch die US-geführte
Invasion 2003 die Christen auf der
Flucht befi nden. „Zwei Millionen Iraker
fl ohen nach 2003 nach Syrien und fanden
hier Schutz.“ Daß nun ausgerechnet
jene bewaffneten Kräfte, die offen vom
Westen unterstützt werden, anti-christliche
„Säu berungsaktionen“ in Syrien
durchführen, wundere ihn überhaupt
nicht. Vor allem verwahre er sich gegen
Belehrungen von westlichen Christen,
wie sich die syrischen Glaubensbrüder
gegenüber der Regierung zu positionieren
hätten. Zahlawi weiß, daß westliche
Medien den syrischen Christen, die
zehn Prozent der Gesamtbevölkerung
von den 22 Millionen Syrern ausmachen,
vorwerfen, mit der Assad-
Regierung um des eigenen Vorteils willen
zu kollaborieren. „Das ist Unfug“,
antwortet er knapp und klar. „Wir waren
immer schon Bürger, die sich gegen
die Spaltung unseres Landes stark gemacht
haben.“
Daß nun auch in der Bundesrepublik
Deutschland Stimmen laut werden, die
fordern, syrische Christen auszufl iegen,
wundert Elias Zahlawi ganz und gar
nicht. „Das zeigt nur das Unwissen der
Europäer. Die syrischen Christen wollen
ihr Land doch gar nicht verlassen, im
Gegenteil. Das ist ja das Problem der islamistischen
Extremisten, die gegen uns
kämpfen und uns vertreiben wollen.
Man kann den Islamisten keinen größeren
Gefallen tun, als die Christen aus
Syrien einfach zu ,entfernen‘.“ Und
Zahlawi erinnert daran, daß schließlich
das orientalische Christentum wesentlich
älter sei als das europäische. Für den
syrischen Geistlichen sind die europäischen
Politiker, die sich selber das Etikett
„christlich“ aufkleben, Teil der „ausländischen
Verschwörung“ gegen sein
Land. Er weigert sich beständig, den
Begriff „Bürgerkrieg“ überhaupt in den
Mund zu nehmen. „Das ist ein richtiger
Krieg, der vom Ausland in mein Land
getragen wurde. Und nun erreicht er
auch die Hauptstadt.“
Es ist fast unheimlich still. Ein
Taxifahrer meinte am Tag zuvor, wenn
man Kampfgeräusche höre, wisse man
wenigstens, daß gegen die Rebellen gekämpft
werde. Wenn die Waffen schwiegen,
herrsche Ungewißheit. Zahlawi je-
denfalls schließt kurz die Augen, als genieße
er die totale Stille – ein seltener
Moment in diesen Tagen. Doch nach
wenigen Minuten ertönen aus der Ferne
wieder Detonationen.
Als wir Zahlawis Kirche verlassen,
dämmert es bereits. An einer Straßenkreuzung
bauen junge Männer der sy-
Damaskus zu tragen. Zahlawi steht
noch am vergitterten Tor zu seiner Kirche
und winkt zum Abschied. „Ich freue
mich“, ruft er, „auf den nächsten Besuch!
Dann herrschen hoffentlich friedlichere
Zeiten.“
MANUEL OCHSENREITER
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Der Sündenfall des Westens
In Syrien gehört der streitbare syrisch-katholische Priester Elias Zahlawi zu den populärsten christlichen Geistlichen. Exklusiv sprach er mit ZUERST über die politische Situation in Syrien.
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In Syrien gehört der streitbare syrisch-katholische
Priester Elias Zahlawi zu den populärsten christlichen
Geistlichen. Exklusiv sprach er mit ZUERST!
über die politische Situation in Syrien
Der Sündenfall
des Westens
Elias Zahlawi, 1932 in Damaskus
geboren, gehört zu den populärsten
christlichen Geistlichen Syriens.
Zahlawi ist seit 1962 geweihter
Priester der syrisch-katholischen
Kirche. Er unterrichtete in öffentlichen
und privaten Schulen, lehrte Latein an
der Universität Damaskus und
Theatergeschichte am Höheren Institut
für Theaterwissenschaften. Die
syrisch-katholische Kirche ist eine mit
Rom unierte Ostkirche. Ihr gehören
weltweit etwa 150.000 Gläubige an,
vor allem im Libanon, in Syrien, im
Irak, den USA und in der sonstigen
Diaspora. Die syrisch-katholische
Kirche folgt im Gottesdienst dem
westsyrischen Ritus.
Herr Zahlawi, Sie gehören zu den bekanntesten
und geachtetsten Priestern
Syriens. In Europa erfährt man sehr wenig
über die Situation der Christen in
Ihrem Land. Die europäischen Medien
berichten immer wieder über tiefe
Spannungen zwischen Christen und
Muslimen. Stimmt das?
Zahlawi: Das Christentum hat tiefe
Wurzeln in Syrien. Sie müssen wissen:
Das heutige Syrien ist nicht das historische
Land gleichen Namens. Zum historischen
Syrien gehören Palästina, Jordanien,
der Libanon, angrenzende Gebiete
in der Türkei und im Irak. Durch
die französisch-britische Mandatsherrschaft
nach dem Ersten Weltkrieg wurde
das Gebiet aufgeteilt. Das historische
Syrien ist die Wiege des Alphabets und
des Christentums. Von dort aus verbreitete
es sich über die ganze Welt. In dieser
Region fand die erste Begegnung von
Christentum und Islam statt. Im historischen
Syrien begann in dieser Zeit
auch die Kooperation dieser beiden
Religionen.
Damaskus ist der Ort, an
dem zur gleichen Zeit am selben Platz
das christliche und das islamische Gebet
gesprochen wurden. Die berühmte
Umayyaden-Moschee in Damaskus war
ursprünglich eine christliche
Kathedrale,
die Johannes dem Täufer geweiht
war. Kalif Walid bin Abdul-Malek wandelte
sie im Jahr 705 in eine Moschee –
die von christlichen und muslimischen
Architekten gebaut wurde. Dies alles
sollte man nicht vergessen, wenn man
über das christlich-muslimische Verhältnis
in Syrien spricht – denn dieses
Verhältnis reicht lange zurück und sollte
nicht ignoriert werden. Und man sollte
auch nicht unerwähnt lassen, daß es
später christliche Intellektuelle waren,
die griechische und lateinische Schriften
in das Arabische übersetzt haben, aber
auch assyrische und arabische Schriften
ins Lateinische.
Doch politisch spielten die arabischen
Christen keine große Rolle?
Zahlawi: Die arabischen Christen spielten
unter der unseligen osmanischen
Herrschaft eine sehr wichtige Rolle für
das kulturelle Erbe Syriens. In der Zeit
der türkischen Unterdrückung bewahrten
die Christen die arabische Identität
und Sprache gegen eine Türkisierung
Syriens. Das „Arabische Erwachen“ im
19. Jahrhundert und der daraus entstandene
arabische Nationalismus wären
ohne die arabischen Christen nicht
möglich gewesen. Dieser moderne Nationalismus
wollte die Araber von ihrer
rein religiösen Identität befreien, welche
sie bislang hinderte, gemeinsam an
einem Strick zu ziehen. Muslime und
Christen kämpften gemeinsam für die
nationale arabische Sache. Arabische
Christen spielten eine wichtige Rolle in
allen nationalen Bewegungen im historischen
Syrien, die sich gegen die koloniale
Unterdrückung durch Großbritannien
und Frankreich richteten. Dies
alles geschah, während in Europa Kriege
tobten, in denen sich Christen oftmals
gegenseitig bekämpften. Daher leben
die syrischen Christen in Harmonie
mit ihrem Land und ihren Landsleuten
mit anderen Religionen.
Und heute?
Zahlawi: Im heutigen Syrien bewähren
sie sich im Kampf für eine moderne Gesellschaft,
die ihre historischen Wurzeln
in Ehren hält. Die Bürger Syriens formen
die Nation, unabhängig von ihrer
Religion. Das ist wichtig. Denn das
macht unser Land stark und wehrhaft.
Syrien wäre wohl sonst nicht in der
Lage, sich so lange den zionistischen Invasionsgelüsten
zur Wehr zu setzen –
obwohl Israel vom Westen blind und
uneingeschränkt unterstützt wird.
Zweifelsohne nimmt dieser Widerstand
viele Ressourcen unseres Landes in Anspruch.
Die Sicherung unserer Existenz
und unserer Souveränität ist teuer. Diese
Mittel fehlen natürlich in anderen
wichtigen Gebieten, wie beispielsweise
dem Bildungssektor oder dem Ausbau
unserer Infrastruktur. Aber dank unserer
Stabilität ist Syrien seit hundert Jahren
in der Lage, unzählige Flüchtlinge
und Verfolgte aus den Nachbarländern
bei sich aufzunehmen: Etwa eine Million
Assyrer flüchteten vor den Türken
aus Mardin in der Zeit des Osmanischen
Reiches, mehr als eine Million
Armenier kamen ebenfalls als Flüchtlinge
zu uns, eine halbe Million Palästinenser
mußten wegen der Schande von
1948 zu uns fliehen, 1,5 Millionen Menschen
kamen aus dem Libanon während
des Bürgerkrieges zu uns, zwei
Millionen Iraker flohen nach der
US-
amerikanischen Invasion 2003 nach
Syrien, und im Jahr 2006 kamen während
der israelischen Aggression gegen
den Libanon nochmal eine Million Libanesen
nach Syrien.
Die syrische Gesellschaft sei tief gespalten,
berichten die europäischen Medien
immer wieder.
Zahlawi: Glauben Sie wirklich, daß eine
solche Gesellschaft mit so starken historischen
Bezügen und der Fähigkeit,
schicksalhaften Herausforderungen wie
beispielsweise der Aufnahme und Assimilation
von Millionen von Flüchtlingen
zu begegnen, tatsächlich gespalten
ist? Lassen Sie mich eines sagen: Ich –
und das sage ich als christlicher Priester
– lebe in einer wundervollen Harmonie
mit vielen Muslimen. Und ich spreche
hier von allen gesellschaftlichen Schichten,
von den einfachen Arbeitern, den
Studenten, den Klerikern in den Moscheen,
dem Mufti und dem Ministerpräsidenten.
Ich hoffe, daß ich eines
Tages meine persönlichen Erfahrungen
dieses Zusammenlebens weitergeben
kann. Ich betrachte diese Muslime als
meine Brüder.
Das hört sich in den europäischen Medien
ganz anders an: Die Christen, so
liest man, unterstützten die syrische Regierung
vor allem deshalb, weil sie dafür
„im korrupten System“ privilegiert
würden…
Zahlawi: Wer so etwas schreibt oder
sagt, hat weder Ahnung von unserer
Geschichte
und unserer Gesellschaft
noch von unserem Präsidenten Dr.
Baschar al-Assad. Die Christen in Syrien
haben sich immer gleich verhalten,
auch bevor die Baath-Partei mit Hafez
al-Assad die Regierung übernommen
hat. Syrien hatte sogar von 1945 bis
1954 mit Fares al-Khouri einen christlichen
Ministerpräsidenten.
Die Christen seien „Kollaborateure der
Macht“, schrieb eine französische Zeitung…
Zahlawi: Hand aufs Herz: Können Sie
mir sagen, wer die großen westlichen
Medien kontrolliert? Der Einfluß der
pro-israelischen Lobby auf die Medien
im Westen ist bekannt. Ist es denn etwa
in der Bundesrepublik Deutschland anders?
Sie sollten nicht vergessen, daß
Ihre Bundeskanzlerin Angela Merkel
sich mehrmals klar dahingehend äußerte,
daß man sich in Berlin stets an
Israel orientiere, was mit dem Schuldgefühl
wegen der Judenverfolgung in
der Zeit des Nationalsozialismus begründet
wird. Sie meinte einmal sogar
sinngemäß, daß eine Bombardierung
Tel Avivs für sie gleichbedeutend mit
dem Angriff auf eine deutsche Stadt
sei…
Herr Zahlawi, vielleicht ist diese Frage
unangenehm für Sie: Was würde mit
den syrischen Christen geschehen, wenn
radikale sunnitische Extremisten die
Regierung in Damaskus übernehmen
würden – etwa so, wie es derzeit in Libyen
geschieht?
Zahlawi: (lacht) Diese Frage ist vielleicht
unangenehm für Sie, aber nicht
für mich.
Wie meinen Sie das?
Zahlawi: Sehen Sie, hinter diesen islamischen
Extremisten, die die syrische
Regierung stürzen wollen, stehen doch
ganz andere Kräfte. Es muß doch auffallen,
daß derzeit in Syrien vor allem
die militanten Islamisten, die Gewalt
und Terror verbreiten, von der Situation
profitieren. Sie versuchen, Muslime
und Christen zu spalten. Überall dort,
wo sie die Kontrolle haben, werden die
Christen vertrieben. Schauen Sie doch
nur auf den Irak. Das würde auch in Syrien
geschehen, dann im Libanon. Das
alles geschieht, um radikal-islamistische
Regime in der Region zu errichten. Ihre
Existenz rechtfertigen diese übrigens
durch einen rein jüdischen Staat in der
Region, auch „Israel“ genannt. Das Kuriose
an dieser Situation ist: Der Westen
unternahm in der Vergangenheit keinen
einzigen Versuch, Israel von der Bildung
eines jüdischen Staates in Palästina ab
zubringen, obwohl der doch immer behauptet,
säkular zu sein. Wie geht das
zusammen? Wie kann man einerseits
behaupten, säkular zu sein und andererseits
die Bildung eines jüdischen
Staates und von radikal-islamischen
Staaten unterstützen?
Im Westen würde man solche Aussagen
als Verschwörungstheorie bezeichnen…
Zahlawi: Dann schauen Sie doch auf die
Fakten: Sowohl die ultra-islamischen
Staaten der Golfregion als auch der jüdische
Staat Israel werden vom Westen mit
Waffen und Geld massiv unterstützt.
Mir klingen die Worte der Sprecherin
des US-Außenministeriums, Viktoria
Nuland, in den Ohren: Die bewaffneten
Banden in Syrien sollten auf keinen Fall
ihre Waffen niederlegen, sondern weiter
die Regierung attackieren. Dabei hat die
syrische Regierung den bewaffneten
Gruppen eine Amnestie angeboten,
wenn sie den Terror und den bewaffneten
Kampf einstellen. Werden die
westlichen Staaten eines Tages realisieren,
daß sie einer Macht dienen, die der
Terrorismus in Staatsform ist?
Deutsche Politiker – auch und vor allem
aus der sich selbst „christlich“ nennenden
CDU – unterstützen einen sogenannten
„Regime Change“ in Damaskus.
Als mögliche Folge eines solchen
Umsturzes haben Sie bereits die Vertreibung
der Christen genannt. Warum
glauben Sie, handeln in Europa gerade
Konservative und Christen gegen die Interessen
ihrer Glaubensbrüder im Nahen
Osten?
Zahlawi: Das fragen Sie mich? Da sollten
sie diese „christlichen“ und „konservativen“
Politiker in Deutschland fragen,
warum ihnen ein Regimewechsel in Damaskus
so sehr am Herzen liegt. Sehen
diese Leute eigentlich nicht, was seit 60
Jahren in Palästina und Israel geschieht?
Sie sind taub und blind und unterstützen
Tel Aviv militärisch und finanziell,
ohne dabei die fatalen Auswirkungen für
die gesamte Region zu realisieren. Eines
unserer größten Probleme heutzutage
sind weltweit die Politiker, die Doppelmoral
ist ihr treuer Begleiter. Sie lügen in
Worten und Taten. Schauen Sie doch
nur, was nach der sogenannten „Befreiung“
des Irak passierte. Man sollte es
doch lieber, um bei der Wahrheit zu bleiben,
„Zerstörung“ nennen. Die westlichen
Politiker führen doch nur einen
zynischen Plan aus. Die israelische Zeitung
Kivonim schrieb bereits 1982 über
die „israelische Strategie für die 1980er
Jahre“, daß in der arabischen Welt ein
Staat nach dem anderen zerstört werden
müsse. Auch die Umsetzung dieses Plans
wird dort detailliert beschrieben: Der
Irak müsse nach einer US-Invasion auf
geteilt werden, aber auch die im letzten
Jahr vollzogene Teilung des Sudan wird
erwähnt. Vergleicht man diese Forderungen
mit dem jetzigen Agieren des
Westens in der arabischen Welt, ist doch
klar, wessen Ideen hier nun Stück für
Stück umgesetzt werden.
Sie gehen mit den westlichen Medien
hart ins Gericht. Herr Zahlawi, wie
könnte man Ihrer Meinung nach das
falsche Bild über die Geschehnisse in Syrien
im Westen korrigieren?
Zahlawi: Erstens: Die westlichen Medien
sollten natürlich endlich damit aufhören,
Lügen zu verbreiten. Doch ich
bin Realist. Das wird wegen des Einflusses
der pro-israelischen Lobby auf die
Medien so schnell nicht passieren.
Und zweitens?
Zahlawi: Unabhängige Journalisten aus
Europa sollten Syrien besuchen und sich
von den Vorgängen dort persönlich überzeugen.
Wenn sie zurückkommen und
den Menschen erzählen, was sie mit eigenen
Augen gesehen haben, wird auch der
Öffentlichkeit im Westen die Wahrheit
nicht mehr vorenthalten werden können.
Herr Zahlawi, vielen Dank für das Gespräch.


24. Februar 2013 at 15:19
24. Februar 2013 at 15:26
Asma al-Assad besucht Elias Zahlawi, und den Schulchor.
25. Februar 2013 at 19:10
http://www.youtube.com/watch?v=7QUHf1bv6MI