Aus „Junge Welt“ vom 8. August 2023
Ein Jahr Arbeitskampf bei Amazon UK
Beschäftigte des Onlineriesen streiken und erinnern an Beginn des Lohnkampfs im August 2022 Von Dieter Reinisch
Amazon steht wie kaum ein anderer Konzern für miserable Arbeitsbedingungen in der Onlinebranche. Undurchsichtige Anstellungsverhältnisse, Scheinselbständigkeit, Unterbezahlung, Fehlen von Kollektivverträgen, Überwachung durch das Unternehmen, kein Krankenstand oder Urlaubsanspruch, All-in-Verträge und Verbot von Gewerkschaften sind nur einige der bekannten Beispiele. Weltweit regt sich zunehmend Widerstand der Belegschaft. Am Amazon-»Prime Day« Mitte Juli protestierten Amazon-Arbeiter in vielen Ländern, darunter den USA und Deutschland.
Seit August 2022 kämpfen auch die britischen Angestellten des Onlineriesen für bessere Löhne und gewerkschaftliche Organisierung. Den Jahrestag begingen sie mit den größten Streiks bei Amazon in Großbritannien. Bei den vorangegangenen Arbeitsniederlegungen hatte das Unternehmen noch Leiharbeiter als Streikbrecher eingestellt. Doch aufgrund der hohen Beteiligung an den Streiks am Sonnabend musste das Verteilzentrum in Coventry gänzlich geschlossen werden. Im Verteilzentrum in Rugeley wurde schon am Donnerstag und Freitag die Arbeit niedergelegt, in Coventry am Freitag und Sonnabend. An dem Tag wurde vor dem Standort eine Demonstration in Solidarität mit den Amazon-Arbeitern abgehalten.
Vor einem Jahr gab es noch gar keine gewerkschaftliche Organisierung bei Amazon in Großbritannien. Heute sind die meisten Arbeiter Mitglieder der Gewerkschaft GMB. Die GMB-Organisatorin bei Amazon UK, Rachel Fagan, schrieb in einer Mitteilung vom Wochenende: »Vor einem Jahr legten Amazon-Arbeiter voller Empörung ihre Arbeit nieder, nachdem die Manager angekündigt hatten, dass eines der reichsten Unternehmen der Welt eine Gehaltserhöhung von nur 35 Pence anbieten würde.« Zwölf Monate später erlebe der Konzern die größte Streikwoche in der (britischen) Unternehmensgeschichte, so Fagan. Die Gewerkschafterin sprach den Arbeitern Mut zu, die »standhaft blieben, obwohl Amazon alles versucht, um sie zu stoppen«.
Die Arbeiter fordern einen Stundenlohn von 15 Pfund Sterling (17,50 Euro) und die Anerkennung ihrer gewerkschaftlichen Rechte, was von Amazon bislang verweigert wird. Fagan erklärte daher hierzu: »Dieser Arbeitskampf wird sich weiter ausbreiten. Der Kampf für Arbeiterrechte bei Amazon UK beginnt gerade erst.«
Am 4. August 2022 waren in den britischen Amazon-Standorten vom Management Versammlungen einberufen worden. 9,98 Pfund Sterling war damals der Stundenlohn und es kursierten unter der Belegschaft Gerüchte, dass das Unternehmen ihnen nun zwölf Pfund bezahlen wolle. Doch die Erwartungen schlugen rasch in völlige Frustration um: Magere 35 Pence (41 Cent) sollte die Lohnerhöhung bringen.
»Wir hatten die gesamte Pandemiezeit ohne Lohnerhöhung durchgearbeitet. Wir haben sogar während der Lockdowns gearbeitet. Bekommen haben wir dafür nichts«, erzählte ein frustrierter Arbeiter damals in der britischen Tageszeitung Morning Star. Im Verteilzentrum Coventry wurde spontan eine Betriebsversammlung einberufen. Sie dauert vier Stunden, obwohl das Management den Anwesenden androhte, sie alle auszustempeln und ihre Schicht zu beenden, was einen Verlust des Tageslohns bedeutet hätte.
Die Arbeiter, die bisher noch keine Erfahrung mit Betriebsarbeit hatten, versuchten sich zu organisieren. Im September wurde eine Abstimmung abgehalten: Die Streikpläne scheiterten, es fehlten nur drei Stimmen.
Danach traten einige Beschäftigte mit der Gewerkschaft GMB in Kontakt und besuchten Seminare und Workshops. Die systematische Gewerkschaftsarbeit begann, und im Laufe des Herbstes 2022 wurde abermals abgestimmt. Bei einer Beteiligung von 63 Prozent stimmten nun 98 Prozent für Streiks. Am 25. Januar 2023 legten dann erstmals Amazon-Arbeiter in Großbritannien ihre Arbeit nieder. Nach diesem 24stündigen Streik folgten noch 25 weitere. Der Kampf wurde daraufhin auf andere Verteilzentren ausgeweitet.
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