Bei anderen gelesen….

Das erste Mal

Uwe Kräuters Nordkorea-Buch »Reisen ins Unbekannte«

Junge Welt vom 30.04.2024 …Von Ronald Kohl

Es gehört zum neuen Selbstbewusstsein der politischen Führung, Nordkorea immer weiter für Touristen zu öffnen. Uwe Kräuters Buch »Reisen ins Unbekannte« unterstützt diese Bemühung nach Kräften. Mehr als zwei Monate hat der Autor im Land verbracht und mit Menschen in den unterschiedlichsten Berufen gesprochen. Er konnte sich dabei relativ frei bewegen. Als er bei dem für sein Buchprojekt zuständigen Komitee anfragte, ob er auch ein Arbeitslager oder ein Gefängnis besuchen könne, erhielt er umgehend die Antwort: »Sicher, kein Problem.«

Dass Kräuter so viele Türen offenstanden, liegt gewiss auch an seiner Vertrautheit mit den asiatischen Höflichkeitsregeln. Er gilt als der am längsten in China lebende Deutsche. Als er 1974 der Einladung folgte, dort für zwei Jahre im Verlag für fremdsprachige Literatur zu arbeiten, wurde daraus ein bis jetzt dauernder Aufenthalt; nach der Teilnahme an einer Studentendemo gegen den Besuch Robert McNamaras, US-Verteidigungsminister von 1961 bis 1968, war er in der BRD 1975 in Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Während ihn der Krieg der USA gegen Vietnam also beinahe ins Gefängnis gebracht hätte, hatte die Aggression gegen Korea seine Kindheit überschattet. Als die Invasion 1950 begann, war Kräuter fünf Jahre alt. Täglich hörte er die Meldungen im Radio. Dass er zu dieser Tragödie einen persönlichen Bezug besitzt, öffnet viele seiner Gesprächspartner. »Dies ist das erste Mal, dass ich einem Ausländer ein Interview gebe«, sagt die neunzigjährige Jon Gu Gang, eine Generalin der Volksarmee. Als junge Ärztin diente sie während des Krieges in einem Feldlazarett. »In manchen Phasen hatten wir innerhalb von 24 Stunden nur 30 Minuten, uns kurz hinzulegen und oftmals auch keine Zeit zum Essen. Dann wurden wir, ja, gefüttert, während wir operierten.« Ihre Begegnung mit Uwe Kräuter fand am 2. August 2018 statt. Es ist vermutlich kein Zufall, dass der erste Ausländer, dem sie ein Interview gab, Deutscher ist. »Oh, im medizinischen Bereich lernen wir und haben wir so viel von Deutschland gelernt … Aber gegenwärtig, wegen der Politik der Sanktionen gegen uns, die sich auch auf den wissenschaftlichen Austausch und den Medizinbereich auswirken, konzentrieren wir uns verstärkt auf unsere traditionelle koreanische Medizin.«

Das unverhohlene Bedauern angesichts des unterbrochenen Kontakts mit der BRD kommt in erstaunlich vielen Gesprächen zum Ausdruck. Willy Brands Kniefall in Warschau gilt bis heute als ehrliche und aufrichtige Geste, als Bitte um Verzeihen, als das, was man sich in Korea von Japan seit Jahrzehnten vergebens wünscht. Gleichzeitig wirft das Wissen um die deutschen Bemühungen um Wiedergutmachung, die Frage bei vielen Koreanern auf, warum plötzlich fast alle Kontakte zu ihnen von deutscher Seite aus auf Eis gelegt wurden.

»Das sind Sanktionen gegen die eigene Sprache: gegen die deutsche Sprache!« sagt Kim Su Chol, der Lehrstuhlleiter für Germanistik an der Kim-Il-Sung-Universität. Über das befremdliche Verhalten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der über viele Jahre regelmäßig Lektoren nach Nordkorea vermittelte, berichtet er: »Seit 2015 gibt es diese Praxis und Verbindung nicht mehr. Auf unsere Anfrage kriegen wir die Ausrede: Wir haben keinen passenden Lektor gefunden.« Kräuter erkundigt sich bei Kim daraufhin nach der Zusammenarbeit mit Frankreich. »Das ist interessant, dass Sie fragen. Die Sanktionen hatten und haben keinerlei Auswirkungen auf unsere Beziehungen mit der französischen Seite!«

In Kräuters Buch erfahren wir also auch viel über uns selbst – noch mehr freilich über Nordkorea, aber eben auch nicht alles. Der Trip in den Knast wurde dann nämlich doch noch abgeblasen, da Kräuters Arbeit in seinem Land »nicht in einer entsprechenden offiziellen Verbindung« dazu stehen würde. – Das leuchtet ein.


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