Barnimer Bürgerpost Sommer Doppelausgabe 2024
Menschenrechte von Karl Marx…
Bei dem nachfolgenden Text von Karl Marx handelt es sich Auszüge aus dessen
Schrift »Zur Judenfrage«, die 1844 in den »DeutschFranzösischen Jahrbüchern« erschienen ist.
Glieder die Erhaltung seiner Person, seiner
Rechte und seines Eigentums zu garantieren.
Hegel nennt in diesem Sinn die bürgerliche
Gesellschaft »den Not- und Verstandesstaat«.
Durch den Begriff der Sicherheit erhebt sich
die bürgerliche Gesellschaft nicht über ihren
Egoismus. Die Sicherheit ist vielmehr die Versicherung ihres Egoismus.
Keines der sogenannten Menschenrechte
geht also über den egoistischen Menschen hinaus, über den Menschen, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich
auf sich, auf sein Privatinteresse und seine
Privatwillkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen abgesondertes Individuum ist.
Weit entfernt, daß der Mensch in ihnen als
Gattungswesen aufgefaßt wurde, erscheint
vielmehr das Gattungsleben selbst, die Gesellschaft, als ein den Individuen äußerlicher
Rahmen, als Beschränkung ihrer ursprünglichen Selbständigkeit. Das einzige Band, das
sie zusammenhält, ist die Naturnotwendigkeit, das Bedürfnis und das Privatinteresse, die
Konservation ihres Eigentums und ihrer
egoistischen Person.
Es ist schon rätselhaft, daß ein Volk, welches eben beginnt, sich zu befreien, alle Barrieren zwischen den verschiedenen Volksgliedern niederzureißen, ein politisches Gemeinwesen zu gründen, daß ein solches Volk die
Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen feierlich proklamiert
(Déclaration de 1791), ja diese Proklamation in
einem Augenblicke wiederholt, wo die heroischste Hingebung allein die Nation retten
kann und daher gebieterisch verlangt wird, in
einem Augenblicke, wo die Aufopferung aller
Interessen der bürgerlichen Gesellschaft zur
Tagesordnung erhoben und der Egoismus als
ein Verbrechen bestraft werden muß. (Déclaration des droits de l’homme etc. de 1793.) Noch
rätselhafter wird diese Tatsache, wenn wir sehen, daß das Staatsbürgertum, das politische
Gemeinwesen von den politischen Emanzipatoren sogar zum bloßen Mittel für die Erhaltung dieser sogenannten Menschenrechte
herabgesetzt, daß also der citoyen zum Diener
des egoistischen homme erklärt, die Sphäre, in
welcher der Mensch sich als Gemeinwesen
verhält, unter die Sphäre, in welcher er sich
als Teilwesen verhält, degradiert, endlich
nicht der Mensch als citoyen, sondern der
Mensch als bourgeois für den eigentlichen und
wahren Menschen genommen wird.
Das Ziel aller politischen Vereinigung ist
die Erhaltung der natürlichen und unabdingbaren Menschenrechte (Erklärung der
Rechte usw. von 1791, Artikel 2.) »Die Regierung ist eingesetzt, um dem Menschen den Genuß seiner natürlichen und unabdingbaren
Rechte zu verbürgen.« (Erklärung usw. von
1793, Artikel 1.)
Also selbst in den Momenten seines noch
jugendfrischen und durch den Drang der Umstände auf die Spitze getriebenen Enthusiasmus erklärt sich das politische Leben für ein
bloßes Mittel, dessen Zweck das Leben der
bürgerlichen Gesellschaft ist. Zwar steht seine
revolutionäre Praxis in flagrantem Widerspruch mit seiner Theorie. Während z.B. die
Sicherheit als ein Menschenrecht erklärt wird,
wird die Verletzung des Briefgeheimnisses öffentlich auf die Tagesordnung gesetzt. Während die »liberté indéfinie de la presse« als
Konsequenz des Menschenrechts, der individuellen Freiheit, garantiert wird, wird die
Preßfreiheit vollständig vernichtet, denn »…die
Pressefreiheit darf nicht zugelassen werden,
wenn sie die allgemeine Freiheit verletzt«, d.h.
also: Das Menschenrecht der Freiheit hört
auf, ein Recht zu sein, sobald es mit dem politischen Leben in Konflikt tritt, während der
Theorie nach das politische Leben nur die Garantie der Menschenrechte, der Rechte des individuellen Menschen ist, also aufgegeben
werden muß, sobald es seinem Zwecke, diesen
Menschenrechten, widerspricht. Aber die Praxis ist nur die Ausnahme, und die Theorie ist
die Regel. Will man aber selbst die revolutionäre Praxis als die richtige Stellung des Verhältnisses betrachten, so bleibt immer noch
das Rätsel zu lösen, warum im Bewußtsein der
politischen Emanzipatoren das Verhältnis auf
den Kopf gestellt ist und der Zweck als Mittel,
das Mittel als Zweck erscheint. Diese optischeTäuschung ihres Bewußtseins wäre immer
noch dasselbe Rätsel, obgleich dann ein psychologisches, ein theoretisches Rätsel…
Allein die Vollendung des Idealismus des
Staats war zugleich die Vollendung des Materialismus der bürgerlichen Gesellschaft. Die
Abschüttlung des politischen Jochs war zugleich die Abschüttlung der Bande, welche
den egoistischen Geist der bürgerlichen Gesellschaft gefesselt hielten. Die politische
Emanzipation war zugleich die Emanzipation
der bürgerlichen Gesellschaft von der Politik,
von dem Schein selbst eines allgemeinen Inhalts… Dieser Mensch, das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, ist nun die Basis, die
Voraussetzung des politischen Staats. Er ist
von ihm als solche anerkannt in den Menschenrechten.
Der Mensch wurde daher nicht von der Religion befreit, er erhielt die Religionsfreiheit.
Er wurde nicht vom Eigentum befreit. Er erhielt die Freiheit des Eigentums. Er wurde
nicht von dem Egoismus des Gewerbes befreit, er erhielt die Gewerbefreiheit…
Die politische Revolution löst das bürgerliche Leben in seine Bestandteile auf, ohne diese Bestandteile selbst zu revolutionieren und der Kritik zu unterwerfen.

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