
Der Untergang
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der untergang
Die syrische Stadt Aleppo gilt als Wiege der Zivilisation:
Auch Deutschland hat viel für den Erhalt jener Kulturschätze
getan, die jetzt von bewaffneten Banden
eingeäschert werden
Der kurze Film dauert etwa zweieinhalb
Minuten. Er stammt aus der
syrischen Stadt Aleppo. Man muß sich
zwingen, dem Schauspiel bis zum Ende
zuzusehen. Ein älterer Mann mit
schwarzer Wollmütze und Bart sitzt auf
einem beige gepolsterten Stuhl und
fürchtet um sein Leben. Er war kurz zuvor
entführt worden, jetzt sitzt er da und
wird vor laufender Kamera als „Beute“
zur Schau gestellt. Sein Name ist Krikor,
er gehört zur armenischen Minderheit
in Syrien, in Aleppo lebten vor der Krise
etwa 45.000 Armenier. Vor der Kamera
sagt der verstörte Mann, sein Name sei
nun „Abdul Wahed“. Er sei gerade –
„ohne Zwang, ganz freiwillig“ – zum
Islam konvertiert, antwortet er auf die
Frage des Interviewers, der nicht zu
sehen ist. Das kurze Video ist von der
„Freien Syrischen Armee“ (FSA) – der
Freischärlertruppe, die seit eineinhalb
Jahren mit internationaler Unterstützung
gegen die syrische Regierung einen
blutigen Krieg führt – ins Netz gestellt
worden. Der alte Armenier dient
als Trophäe. Bewaffnete Kämpfer der
FSA haben ihn gekidnappt und vor einen
eigens eingerichteten, sogenannten
„islamischen Rat“ gesetzt. Unter Todesangst
konvertierte der armenisch-syrische
Christ zum Islam. Der FSA-Angehörige
zwingt Krikor, vor der Kamera
an seine „armenischen Brüder“ zu appellieren,
die FSA zu unterstützen. „Ich
schwöre es beim allmächtigen Gott“,
sagt Krikor und gestikuliert dabei mit
den Händen. „Wer auch immer behauptet,
die FSA töte und verfolge Christen,
liegt falsch. Das sind Lügner!“ Und
Krikor redet weiter wie ein Wasserfall:
„Vom ersten Tag an, als Ihr mich mitgenommen
habt, bekam ich Hühnchen
und Kartoffeln zu essen. Meine eigenen
Söhne wissen gar nicht mehr, wie das
schmeckt!“
Während Krikor weiter verzweifelt
das gute Essen der FSA lobt, wird der
Befrager langsam ungemütlich. „Sag
Deinen armenischen Brüdern: Verbündet
Euch nicht mit dem Regime, denn
es will Euch töten! Los! Sag es!“ Am
Ende muß sich Krikor bei seinen Peinigern
bedanken, sagt aber noch: „Ich
verlasse mich auf Euch!“ Was haben
ihm die Entführer für das Schauspiel
versprochen? Vielleicht, daß sie seine
Familie verschonen? Werden die Kidnapper
ihr Versprechen halten?
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